102. Jahrgang 2016
INHALT
John Scott Whiteley (York, England), Historische Belege zur Registrierungspraxis in den Sechs Sonaten BWV 525–530. Eine Neubewertung
Thomas Daniel (Köln), Hatte Nottebohm unrecht? Zur unvollendeten Fuga a 3 Soggetti aus Bachs Kunst der Fuge
Otfried Büsing (Freiburg/Br.), Kurze Duplik auf Thomas Daniels Replik zu „Hatte Nottebohm recht?“
Peter Wollny (Leipzig), Neuerkenntnisse zu Bachs Biographie und Aufführungstätigkeit in den 1730er Jahren
Traute M. Marshall (Newton/Mass.), Wo hat Bach die Celler Hofkapelle gehört?
Klaus Hofmann (Göttingen), Anmerkungen zu Bachs Kantate „Preise, Jerusalem, den Herrn“ (BWV 119)
Hans-Joachim Schulze (Leipzig), Berührungspunkte und Begegnungen: Die Musikerfamilien Hertel und Bach
Russell Stinson (Batesville, Arkansas), Robert Schumann, Eduard Krüger und die Rezeption von Bachs Orgelchorälen im 19. Jahrhundert
Kleine Beiträge
Klaus Hofmann (Göttingen), Ein B-A-C-H-Zitat bei Georg Philipp Telemann
Benedikt Schubert (Weimar), „Virtuosen“ und „Musikanten“. Ein Nachtrag Lorenz Mizlers zum Scheibe-Birnbaum-Disput
Moira Leanne Hill (New Haven/CT), Der Sänger Johann Andreas Hoffmann als Notenkopist C. P. E. Bachs
Maria Hübner (Leipzig), Johann Sebastian Bach der Jüngere in Rom – einige Ergänzungen
Hans-Joachim Schulze (Leipzig), Dokumentation (Fortsetzung aus BJ 2015)
Neue Bachgesellschaft e. V. Leipzig
Mitglieder der leitenden Gremien
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Der diesjährige 102. Band enthält acht große und fünf kleine Beiträge von international renommierten Wissenschaftlern aus Deutschland, England und den USA. Das wissenschaftliche Interesse an dem faszinierenden Phänomen Johann Sebastian Bach erscheint nach wie vor unerschöpflich: Die Palette der Themen reicht in diesem Jahr von Problemen der Aufführungspraxis über Aspekte der Kompositionstechnik, Biographie, Werkgeschichte und Quellenforschung bis zu Fragen der Rezeptionsgeschichte. Auch die Beschäftigung mit den Bach-Söhnen und -Enkeln hat sich als stabiler Forschungszweig etabliert, der immer wieder neue Früchte trägt.
Eines der vertracktesten Probleme bei der stilgerechten Aufführung von Bachs Orgelwerken ist die angemessene Registrierung. Zwar sind von Bach selbst nur wenige einschlägige Angaben überliefert, doch zeigt eine Untersuchung des Umfelds und speziell der frühen Rezeptionsgeschichte, dass sich mit Hilfe zahlreicher Zeugnisse ein recht genaues Bild entwerfen lässt (John Scott Whiteley). Die von Otfried Büsing im letzten Band angestoßene Frage, ob der unvollendete letzte Satz von Bachs monumentaler Kunst der Fuge vom Komponisten tatsächlich als Quadrupelfuge (also eine Fuge mit vier Themen) konzipiert war oder ob es sich vielmehr doch um eine – wie es in der Überschrift heißt – „Fuga a 3 Soggetti“ handelte, hat unter den Lesern lange Diskussionen ausgelöst und dem Herausgeber zahlreiche Zuschriften beschert. Pars pro toto erscheint im aktuellen Band nun ein Beitrag, der eine konträre Position einnimmt (Thomas Daniel), gefolgt von einer Replik Büsings.
Der großen Schar der namentlich noch nicht identifizierten Kopisten, die im Auftrage Bachs das Aufführungsmaterial für die Darbietungen von geistlicher Figuralmusik an den Leipziger Hauptkirchen ausschrieben, widmet sich der Beitrag des Herausgebers. Aus dem 1754 veröffentlichten Nekrolog wissen wir, dass der junge Bach in seiner Lüneburger Zeit die Gelegenheit hatte, „sich durch öftere Anhörung einer damals berühmten Capelle, welche der Hertzog von Zelle unterhielt, und die mehrentheils aus Frantzosen bestand, im Frantzösischen Geschmacke, welcher, in dasigen Landen, zu der Zeit was ganz Neues war, fest zu setzen“. Wo Bach dieses berühmte Ensemble gehört hat, ist nach wie vor strittig. Auf der Grundlage von Archivstudien präsentiert Traute Marshall eine neue Deutung, die die Forschung gewiss noch beschäftigen wird. Ein anderes Kapitel von Biographie und Zeitgeschichte berührt Hans-Joachim Schulze in seinem Beitrag über Berührungspunkte und Begegnungen zwischen Mitgliedern der Musikerfamilien Hertel und Bach.
Die Entstehungsgeschichte von Bachs erster Leipziger Ratswahlkantate „Preise, Jerusalem, den Herrn“ BWV 119 bietet immer noch zahlreiche offene Fragen. Klaus Hofmann stellt seine These vor, dass es sich bei dem Werk ursprünglich um eine weltliche Huldigungsmusik gehandelt hat, nach deren Entstehungszeit und -anlass weiter zu fahnden ist. Die Bach-Rezeption von Robert Schumann und dem mit ihm befreundeten Organisten Eduard Krüger steht im Mittelpunkt des Beitrags von Russell Stinson, der neue Hinweise auf verschollene Quellen und wertvolle Einblicke in die Spielpraxis des mittleren 19. Jahrhunderts bietet.
Neben einigen Kleinen Beiträgen (Klaus Hofmann, Benedikt Schubert, Moira Hill, Maria Hübner) setzt der diesjährige Band die im letzten Jahr begonnene Rubrik „Dokumentation“ fort, in der schwer greifbare Dokumententexte in zitierfähiger Form und mit exakten Quellenangaben vorgestellt werden (Hans-Joachim Schulze).